Von der Geige über Zappa-Epigonie zu Ostbahns "Prinz", als "Dobromann" zur Blechgitarre und immer weniger ein Spieler seines Instruments, vielmehr Vermittler dessen, was nicht gespielt wird. Zuletzt: Drei Gitarren, die Finger (nur) an den Verstärkern.
Vor fünf Jahren lernte ich ihn kennen, was heißt kennen, bei den Hörspieltagen in Berging bei Neulengbach in Niederösterreich, er trat solo auf. Erst kamen ihm die Töne schön und bunt von der Hand, dann, er wippte, flogen sie ihm davon, er ließ sie fliegen, trat sie nach draußen, riss sie einzeln aus den Saiten, und wer nicht fliehen will, dem half er nach, verstimmte die tiefen Saiten, dann die hohen, sein Mund war riesig, wir nannten ihn bei uns die Lippe, wie er mit Stahl und Holz ein Rascheln, Klopfen, Singen machte, wie man es von der gemeinen akustischen Gitarre seit 160.000 Jahren nicht gehört hatte.
Ein Jahr später, wieder bei den Hörspieltagen, denn er ist ein Freund des Hauses, zeigte Karl Ritter sich zu dritt, ein deutscher Sprechgesang, frei erfunden, ein Schlagzeug und der Verrückte, der sein armes Instrument wieder zu allen erdenklichen Stücken trieb, nie gehört so was. Spannte die Saiten aus. Die deutschen Hörspiel-Regisseurinnen 60 plus verließen den Saal, man selbst hielt sich am Weinglas fest und wusste nicht warum. Diese Musik ist ein Fall für den Nervenarzt, der Mann dahinter aber irgendwie Genie. Man trank danach mit ihm ein Glas und sog an seiner Zigarette.
Spielen ist üben
Man kann das nicht Freundschaft nennen. Nach Schnitzler oder einem Schnitzlerfreund sind Freunde bloß zwei Menschen, die einander nicht nervös machen. Karl Ritter macht alles andere als nervös. Jedenfalls mich. Die deutschen Hörspiel-Regisseurinnen 61 plus verließen dann im nächsten Jahr ganz nachgerade das Konzert von Ritter, Eigner, Slavik.
Eigner zeugelt bei Depeche Mode, Slavik spielt auf seinem Dutzend-saitigen Bass verrückt, von Australien bis nirgendwo, sie haben nie geprobt. Sie haben nie geprobt, wie Ritter niemals probt, denn Spielen ist sein üben, und zeitgenössische Musik, "das kann man auch improvisieren". Man?
Zwischen den Tönen
Es vergehen zwei Jahre, und wieder bei den Hörspieltagen kommt der gute Herr mit drei Verstärkern, Gitarren, seiner Frau, wir stehen am Nachmittag auf der Veranda, es regnet, wir nippen ein Glas Rotwein aus, während er sagt, dass er nun nicht mehr spielt, nicht mehr Gitarre spielt, er hat schon alles gespielt, es geht ihm jetzt darum, was nicht gespielt wird, die Musik zwischen den Noten, ich denke an China, aber falsch. Er macht uns eine Zigarette. Wir schauen in den Regen. Was meint der Hüne, wenn er spricht? Er spricht wenig. Die Sätze einzeln, sie wirken. Was kann Herr Leopold "Prinz" Karasek von damals meinen, wenn er schweigt?
Am Abend wird es klar, nein, klarer, und da ist auch die Idee für eine Sendung über ihn geboren. Wir kommen in den Saal, vorne der Ritter, drei Verstärker, an den Verstärkern lehnen drei Gitarren, am Anfang ist lange nichts. Die Regisseurinnen warten, ich denk mir: Geil. Noch immer nichts. Der Ritter dreht an den Knöpfen der Verstärker. Nichts. Dann eine Welle, laut, ein Sinuston, Rückkoppelung, eh, aber wofür? – dafür!, sie bringt Saiten zum Schwingen, jetzt schwingen sie. Lauter, er fährt aus einem anderen Verstärker ein nächstes Sinusungeheuer aus, die deutschen Regisseurinnen 63 plus rennen, die Hände an den Ohren, aus dem Saal. Ich bin gelähmt, 50 Minuten lang, er nimmt zurück, lässt die Verbliebenen warten, wartet, baut wieder auf, bis alles, was hier schwingen kann, auch schwingt, reißt letztlich an den Saiten, verstimmt sie, kratzt an den Hälsen, schlägt auf die Bäuche, es ist laut, aber es kann gar nicht laut genug sein, nach 50 Minuten sind mir persönlich zehn vergangen. Deshalb die Sendung, eine Hommage.
Philip Scheiner (Jänner 2010)