Biographie

»... Ein kurzer Blick auf die vielen, vielen verschiedenen Projekte, in denen der gebürtige Stockerauer seine Finger mit im Spiel hat, reicht, um zu erkennen, dass hier ist ein Mann am Werken, für den der Begriff „Berührungsangst“ schlicht und einfach ein Fremdwort darstellt. Egal ob nun im Jazz, Rock, Pop, in der Klassik, Weltmusik, Avantgarde, Improvisation oder im Bereich der elektronischen Musik, Karl Ritter ist in jeder Phase seines Tuns geleitet von der Idee, Brücken schlagen zu müssen, Dinge, scheinen diese auch noch so weit voneinander entfernt zu sein, miteinander in Verbindung zu setzen, um sich auf diesem Wege seiner eigenen musikalischen Visionen so weit wie möglich anzunähern.
 
Ist es alleine die instrumentale Virtuosität, die einen Musiker ausmacht? Oder gehört doch noch weit mehr dazu, sich als eigenständiger Künstler zu positionieren. Vielleicht bedarf es dazu auch Mut, bereits beschrittene Pfade zu verlassen, um sich für Neues frei zu machen. Karl Ritter zählt unbestritten zu jenen, die sich mit Vehemenz dagegen wehren, auch nur für einen kurzen Moment einer bestimmten Kategorie zu entsprechen, die zu keiner Zeit Gefahr laufen wollen, sich in Wiederholungen zu verlieren, und, um diese zu vermeiden, sich mit aller Konsequenz dem Korsett des Traditionellen entledigen. Richtig wohl fühlt sich der 1959 in Stockerau geborene und Afrika-affine Ausnahmegitarrist vor allem zwischen den Stühlen, zwischen den verschiedenen Spielformen, aus deren Elementen er mit der Akribie eines Wissenschaftlers sich seine ganz eigene Klangwelt formt und in welcher er technische Brillianz und Komplexität auf ganz wunderbare Art mit einer ungemeinen musikalischen Eleganz in Einklang zu bringen versteht. 

Allerdings war es nicht die Gitarre, auf welcher der Niederösterreicher seine ersten musikalischen Gehversuche unternommen hat. Begonnen hat er mit 6 Jahren an der Geige, die aber, so scheint es, nicht wirklich zur großen Liebe des damals noch jungen Musikers erwachsen ist. Die für ihn logische Konsequenz stellte sich in einem Wechsel an ein anderes Instrument dar, welchen er auch mit 12 Jahren schließlich tatsächlich vollzog. Mit der Gitarre in der Hand begann er sofort auch schon erste Stücke zu komponieren, merkte aber ebenfalls, dass ihm auch das Improvisieren großen Spaß bereitete. Mit zunehmendem Alter kristallisierte sich immer mehr seine eigene, von allen Stilfragen befreite musikalische Vision heraus, welche er seitdem bis heute zu realisieren versucht.
 
1980 produzierte der Gitarrist ssein erstes Album „Ex-podo-Z“, welches er im Eigenverlag veröffentlichte und das ihm erstmals größere Aufmerksamkeit bescherte. Was folgte, waren zahlreiche Auftragsarbeiten wie etwa für Wiener Renaissance Theater sowie Hörspielproduktionen für den ORF und den Bayerischen Rundfunk. Zu größerer Bekanntheit gelangte der gebürtige Stockerauer schließlich als Mitglied der Gruppe "Ostbahn Kurti und die Chefpartie", welcher er zunächst von 1988 bis 1994 angehörte. Seinen lange gehegten Wunsch, einmal auch ein Projekt zu realisieren, in welchem die Grenzen zwischen der U- und E-Musik überwunden werden sollen, erfüllte sich Karl Ritter 1993 mit dem gemeinsam mit dem österreichischen Komponisten Thomas Pernes erarbeiteten Werk „Perikato“. Nur wenig später folgte auch schon die Produktion der ersten Soloperformance und CD "Dobromann".
 Die darauffolgenden Schaffensjahre des Gitarristen waren vor allem von einer immensen künstlerischen Vielfalt und viel Arbeitseifer geprägt. Sich nie wirklich auf ein einzelnes Projekt konzentrierend, betätigte sich der Niederösterreicher in den verschiedensten Kontexten und Umfeldern. So komponierte er Filmmusik („Schwarzfahrer, Blutrausch), lieferte Auftragsarbeiten für Kunstinstallationen (unter anderem 1998 für „Musik Aktuell“ NÖ), spielte in verschiedensten Formationen, wie etwa ein zweites Mal in jener von Willi Resetarits (1996-2003), absolvierte zahlreiche Auftritte (unter anderem eine Tour in Zimbabwe) und gründete schließlich 2001 gemeinsam mit Otto Lechner, João de Bruçó, Achim Tang, Herbert Reisinger, Alex Rathner und Peter Kaizar auch das Label Windhund Records.
 
Höchst produktiv und arbeitsintensiv gestaltete sich auch die zweite Hälfte der 2000er Jahre. Veröffentlichungen wie etwa Mwapona Windhund (ein akustischer Reisebericht aus Zimbabwe), der Klassiker Atmen (2004), das rote und das blaue Album (2007), sowie jene seines Band Projekts „Weiße Waende“ (gemeinsam mit Herbert Pirker und Christian Reiner) „Nur für kurze Zeit“ (2007) wechselten sich mit ausgedehnten Konzertreisen im In-und Ausland und anderen Tätigkeiten für Theater und Film ab. 

Obwohl 2009 50 Jahre alt geworden, zeigt sich Karl Ritter auch heute noch unermüdlich. Aktuell widmet sich der vielbeschäftigte Ausnahmegitarrist, Freigeist und Querdenker besonders seinem 2009 gegründeten und nach ihm benannten Trio, mit welchem er einmal mehr versucht, die Grenzen des Jazz bis zur Spitze auszuloten. Dem gegenüber fast schon in die Klangmalerei verschlagen hat ihn auf seiner bislang letzten und von allen Seiten mit viel Lob bedachten Veröffentlichung „Soundritual“ (2011), auf der er, beseelt vom Geiste des Experiments, die Hörer auf eine spannende und atmosphärische Entdeckungsreise in die Welt der Klangkunst und Elektroakustik mitnimmt.
 
Karl Ritter war ist immer noch ein Musiker mit vielen Gesichtern. Die Liebe zum Experiment sowie seine Neugier nach dem Neuen beflügeln den Gitarristen und Komponisten stets zu ungeahnten kreativen Höchstleistungen. Mit seiner Fähigkeit, sein Spiel immer wieder neu zu erfinden, darf angenommen werden, dass der Niederösterreicher das Ende der Fahnenstange seines kreativen Schaffens noch lange nicht erreicht hat.

Autor: Michael Ternai

Karl Ritter "mfgt" nicht. Er gehört auch nicht zu jenen, die ein E-Mail mit einem unverbindlichen "lg" abschließen. Karl Ritter schreibt vielmehr: "s.g." - und sagt damit "scheen Gruaß". Ein Detail, gewiss. Und doch auch ein Indiz. Denn: Das schreibt nur Karl Ritter. Und es sagt auch in der dialektalen Abweichung von der schriftsprachlichen Norm, im Willen zum Ausscheren aus den bekannten Bahnen, etwas über Ritter aus. Zumindest über seine Musik. Diesbezüglich hat er schon früh eigene Wege beschritten, abseits gut ausgeleuchteter Trampelpfade, ohne daraus ein Dogma zum Anders-Sein-Müssen abzuleiten. Ein Freigeist sei er immer schon immer gewesen, sagt Karl Ritter über sich selbst. Schon als Kind, im nördlich von Wien gelegenen Stockerau, wo er heute wieder lebt, hätte er vor allem dann Geige geübt, wenn der Vater aus dem Haus war - und er also stundenlang drauflos improvisieren konnte. Später, nachdem er im Alter von 13 Jahren zur Gitarre gewechselt war, standen ausgedehnte Forschungsreisen in vielerlei zeitgenössische Musik-Gefilde an. Der Punk von "The Clash" kam da gleich nach Zwölftonmusik. Frank Zappa stand neben Edgard Varèse. Sogar Ernst Kreneks 3. Sinfonie wurde von der Schallplatte transkribiert, jeder Ton selbst erarbeitet, erspielt, erspürt. Ritter ist Autodidakt - natürlich Autodidakt, ist man versucht zu sagen. Vielleicht ein Mitgrund dafür, dass die seine Musik, ob geräuschhaft, ob klangschön, stets expressiv, prägnant, von plastischer Intensität ist.

Doch halt! Wie passt der Herr Ostbahn in dieses Bild? "Der Ostbahn-Kurti ist mir ja eigentlich nur passiert", pflegt Karl Ritter über das Engagement zu sagen, durch das er es in Österreich zu großer Bekanntheit gebracht hat - und das gleichzeitig für so manches Missverständnis in Bezug auf die öffentliche Wahrnehmung des Gitarristen verantwortlich ist. 15 Jahre lang, von 1988 bis 2003, bereicherte Karl Ritter u. a. als "Prinz Karasek" die "Chefpartie" und die "Kombo" von Ostbahn-Kurti alias Willi Resetarits mit rockig-bluesigen Gitarrentönen. Eine gute Zeit, in der er viel gelernt habe, sagt Karl Ritter. Eine Zeit, in der - trotz Soloprojekten wie "Dobromann", trotz Auftritten mit Otto Lechner und im Free-Rock-Trio "Sel Gapu Mex" mit Al Slavik und "Depeche Mode"-Drummer Christian Eigner - indessen zumeist nur eines von Ritters vielen Gesichtern zu erleben war.

Wohl auch deshalb strömt die Musik seit dem Bühnenabgang von Ostbahn-Kurti anno 2003 nur so aus ihm heraus. Die andere, in den Jahren davor weniger hörbare Musik. "Atmen" heißt das erste, großartige CD-Statement mit programmatischem Titel, in dessen Rahmen sich Ritter als Meister trashiger, frei improvisierter Meditationen über den Blues erweist. 2007 zeigt Ritter gleich zwei neue Gesichter: eines blau, das andere rot - so prangt sein Konterfei auf den CD-Covers. Ritter, der Kosmopolit eigener Prägung, der mit splittrigen, obertonreich verzerrten Gitarrensounds indische wie westafrikanische Klangsphären neu erschließt, um sich nicht zuletzt in die unglaublichen Antilopenhorn-Patterns des Tonga-Volks in Zimbabwe einzuklinken. Ritter, das Naturereignis mit Köpfchen, das die Resultate der elektronischen Musik mit der rohen Energie von Rock und Noise kurzzuschließen trachtet. Schon steht die Post-Ostbahn’sche Trilogie des Karl Ritter. Nein, das ist kein "Kreativ-Rocker" , der solche Töne von sich gibt: Dass mit diesem "Argument" im Jahr 2005 die Nominierung Ritters für den Hans-Koller-Preis abgelehnt wird, sagt gleichermaßen viel über das Phänomen selektiver Wahrnehmung wie über die Zähigkeit medial etablierter Bilder aus.

Ritter hingegen kümmert dies kaum. Er geht weiter seinen Weg. Färbt im Trio "Weiße Waende" mit Text-Improvisator Christian Reiner und Schlagzeuger Herbert Pirker spontane Wortcollagen mit Klängen ein. Vollführt im Rahmen des 2008 erschienenen Soloalbums "Traumland" wundersame assoziative Metamorphosen zwischen Laute, Cembalo und Bottleneck-Gitarre, durchreist unbekümmert Kontinente und Jahrhunderte und bleibt doch stets bei sich. Im jüngsten Trio, mit Saxofonist Andrej Prosorov und Schlagzeuger Dušan Novakov, kommen indessen plötzlich zarte melodische Linien zum Vorschein, kammermusikalische Songstrukturen, die als Angelpunkte für frei improvisierte Gedankenflüge fungieren. Das ist Musik, die ins Ohr geht, und aus der dennoch eine besondere Dringlichkeit spricht, die sich aus dem Wissen um die Möglichkeit speist, im nächsten Moment ins geräuschvolle Gegenteil kippen zu können. Kein Zweifel: Karl Ritter hat aus den verschiedensten musikalischen Stilen und Sprachen seinen eigenen, unverwechselbaren, ebenso kraftvollen wie poetischen musikalischen Dialekt geformt.

Versuch über Karl Ritter
von Andreas Felber